Der Wille Gottes

Liebe Leser,

Ich weiß dass ihr schon eine Weile warten musstet, und so möchte ich euch endlich mal wieder schreiben und aus dem kleinen zentralamerikanischen Land berichten, dass seit ein paar Monaten meine Wahlheimat ist. Wie ihr der Überschrift entnehmen könnt, möchte ich heute besonders über Religion und Gottesfolge schreiben, wie sie in Panama betrieben wird. Ich habe in dieser Hinsicht ein sehr spannendes und eindrückliches Wochenende durchlebt. Dazu aber gleich mehr, wir beginnen erstmal mit der Schilderung meiner Gesamtsituation:

Ich bin wie ihr wisst immernoch bei Cine Animal in Panama City angestellt, um mein Praktikum zu absolvieren. Wie ihr im letzten Beitrag schon lesen konntet, beschäftigt mich im Moment ein Großprojekt, dass meine komplette Zeit beansprucht: die Erstellung einer Ausstellung für das Bio Museo der Stadt. Dafür schneide ich 47 Kurzfilme, die die panamesische Kultur, Tradition und Natur vorstellen. Für den Auftrag haben wir einen sehr straffen Zeitplan, bis zur zweiten Novemberwoche muss alles fertig sein. Die Drehs sind mittlerweile fast abgeschlossen, und ich befinde mich vollständig in der Postproduktion. Während die Drehs von meinem Chef Tomas organisiert und angeleitet wurden, bin ich im Schnitt fast vollständig mein eigener Herr. Tomas ist nämlich wegen verschiedener Filmfestivals in Chile gewesen und jetzt noch in Japan, sodass ich im Prinzip jetzt alles selbstständig fertig stelle. Ich freue mich sehr über das in mich gelegte Vertrauen und vor allem die umfangreiche Erfahrung die ich sammeln kann. Allerdings ist es auch extrem viel Arbeit, sodass ich von Montag bis Samstag regelmäßig neun oder zehn Stunden im Büro bin. Der Schnitt macht mir extrem Spaß, weil das Material für mich als “Tourist” hochinteressant ist, auf der anderen Seite habe ich dementsprechend leider recht wenig Zeit um mit Eric oder anderen Menschen um die Häuser zu ziehen. Meine Aufgaben zur Zeit sind zum Ersten der Schnitt, danach die Vertonung der 47 Filme und zum Schluss die Farbkorrektur passend auf die im Museum verwendeten Bildschirme. Der ganze Prozess findet in enger Kommunikation zum Museum statt, das regelmäßig Vorschläge, Wünsche, Lob oder Verbesserungen einbringt. Es ist also ziemlich komplex, teilweiße auch ein bisschen unübersichtlich, aber trotzdem rechtzeitig machbar, denke ich. Von daher bin ich was die Arbeit angeht sehr zufrieden, denn gerade weil ich soviel Zeit auf Arbeit verbringe, fühle ich mich schon extrem weitergebildet.

An den Abenden und Sonntagen lebe ich ein recht gemütliches Leben in der Stadt, inzwischen haben wir uns so gut eingelebt, dass wir unsere Routine haben. Gelegentlich geht es zum Sport in einen der kostenlosen Fitnessparks, am liebsten an der Küste. Ab und zu gehen wir in diverse Malls oder den Gemüsemarkt. An den Samstagen lassen wir uns in ein riesiges Kinderplanschbecken 400 Liter heißes Wasser ein, trinken Bier und schauen uns alte Bilder von früher an. Ich habe erfolgreich Erics Haare geschnitten, und irgendwie ist unser Wäschetrockner kaputtgegangen. Es ist also alles in allem ein ruhiges normales Erwachsenenleben was wir hier führen, produktiv und zielgerichtet mit gelegentlichen Pausen. Soweit so gut, in dieser Art und Weise geht es vermutlich weiter bis ich das Museums-Projekt abgeschlossen habe.

Natürlich schreibe ich diesen Blog aber nicht um euch nur das zu berichten. Viel wichtiger ist es, dass wir an dieser Stelle mal über Gott reden. Beziehungsweise dass ich euch von den panamesischen Katholiken erzähle, die ihre Liebe zu Gott auf eine ganz eigene Weise ausleben.

Es gibt in Panama sehr viele Christen oder besser gesagt Katholiken, und obwohl ich selbst Atheist bin, interessiere ich mich sehr für den Glauben der verschiedenen Menschen. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass uns ein Film des Bio Museo für ein Wochenende nach Portobello verschlug, einer kleinen Stadt an der Karibikküste im Norden. Es ist eine sehr interessante Stadt, denn hier hat 1502 schon Kolumbus angelegt und 1561 wurde Portobello zum Anlaufpunkt der spanische Silberflotte. Dementsprechend hat sich hier eine reiche, sehr schöne Kleinstadt im spanischen Kolonialstil entwickelt, die regelmäßig von Seeräubern angegriffen wurde, und deshalb mit mehreren Forts ausgestattet wurde. Das Alles ist wie gesagt noch heute vorhanden, und trotz der Verfallsspuren finde ich die Stadt wunderschön.

Da die Stadt auch genutzt wurde, um Sklaven aus Afrika in das Land zu bringen, sind die Bewohner dieser Stadt fast ausschließlich afrikanischer Herkunft, und die Stadt ist auffällig bunter, lebhafter und vor allem viel musikalischer (beziehungsweise lauter) als andere Städte. Die Bewohner der Stadt haben auch einen ganz besonderen Feiertag eingeführt, und zwar ein Fest zur Feier des schwarzen Christus am 21. Oktober. Richtig, der Christus der hier vergöttert wird ist dunkelhäutig. Und das Vergöttern ist hier in extremen Sinn gemeint. Es wird jetzt ein bisschen schwierig für mich, alle meine Eindrücke zu schildern, aber ich werde es versuchen.

Als wir am Samstagabend in Portobello ankamen, fiel zuerst auf, dass die kleine Stadt von Menschen geradewegs überflutet war. Zehntausende Katholiken pilgern jedes Jahr in die Stadt, schon weit vor der Stadt sah man sie am Straßenrand laufen. In Portobello angekommen tauchten wir in ein buntes Chaos aus Menschen, Autos und unzähligen Marktständen ein, die Kerzen, Kreuzketten, schwarze Jesusfiguren und Alkohol feilboten. Die Stadt platzte aus allen Nähten, in den meisten Straßen konnte man sein eigenes Wort nicht verstehen. Ein wenig später brannte sogar ein kompletter Marktstand nieder, und mit ihm ein wichtiger Strommast, sodass wir die folgenden Tage ohne Elektrizität lebten.

Das Ziel der Menschenmassen war die kleine – viel zu kleine – Kirche in der Stadtmitte. Auch hier hatten sich bereits unzählige Menschen zur Zwiesprache mit Gott versammelt, und in der Mitte stand, in ein lilanes Gewand gekleidet, der schwarze Christus auf einer circa fünf Meter langen tragbaren Plattform. Ein wenig später wurde ich auf ein paar sich seltsam verhaltende Menschen aufmerksam: Pilgerer, von denen es am Sonntag noch viel mehr geben würde. Die Pilgerer, die ja ohnehin schon kilometerlange Fußmärsche aus ihrer Heimatstadt zurückgelegt hatten, haben sich hier einen verwunderlichen Brauch angeeignet. Und zwar kriechen sie die letzten Kilometer zur Kirche auf den Knien, manche legen sich sogar auf den Rücken und schieben sich über den Boden, oder sie liegen auf der Seite und rollen sich durch die Stadt bis durch die heiligen Pforten. Während dieser Tortur werden sie von hilfsbereiten Glaubensbrüdern oder Schwestern mit heißem Wachs übergossen. Eine weitere Person läuft jeweils vor dem Pilgerer her, und trägt ein kleines Modell der Kirche, um die Motivation zu wahren. Die Menschen rufen dabei Dinge wie “kein Schmerz” oder “Er lebt!” und zeigen auf diese Weiße ihre Dankbarkeit für das große Opfer des gekreuzigten schwarzen Christus. Der Strom von geschundenen Pilgerern hat wie gesagt am Sonntag noch weiter zugenommen, und gelegentlich sah ich auch wie die brennende Hitze einen der Pilgerer niederstreckte. Die ohnmächtigen Christen wurden dann vom roten Kreuz auf Tragen weggebracht. Der Großteil der Pilgerer schaffte es zum Glück bis in die Kirche, um dort unter Tränen zu beten. Mich hat dieser Anblick sehr nachdenklich gemacht. Die Menschen waren bereit, so starke Schmerzen und Leiden auf sich zu nehmen, nur wegen ihres Glaubens. Einen Glauben, den man nicht wirklich beweisen oder erklären kann, und den ich als Außenstehender oftmals auch nicht so für voll nehme. Doch diese Menschen waren voller Begeisterung und Überzeugung dabei, und waren auch von der Wichtigkeit ihres Opfers überzegut.

Als es dann irgendwann alle Pilgerer entweder in die Kirche oder ins Krankenhaus geschafft hatten, begann der eigentliche Höhepunkt der Feierlichkeiten. In der Kirche wurde ein Gottesdienst abgehalten, der mit Musik, Tanz und begeisterten Zwischenrufen durchaus als erweckt zu bezeichnen ist. Das Chaos nahm weiter seinen Lauf, als man sich nach Ende der Veranstaltung aufmachte, den schwarzen Jesus durch die engen Gassen der Stadt zu tragen. Ich stand zu dem Zeitpunkt in der Ecke des Marktplatzes, um mit dem Mikrophon die euphorischen Rufe der in Ekstase versetzten Menge aufzuzeichnen, als der hölzerne Christus direkt auf mich zu kam. Von ungefähr 40 Männern getragen, hatte die sänftenartige Plattform mit der Christusfigur die Kirche verlassen und machte sich langsam auf den Weg in die Stadt. Sehr langsam um genau zu sein, denn auf drei Schritte vorwärts folgen zwei Schritte nach hinten. Plötzlich kam der gesamte Zug so nah an uns heran, dass die Menschen in meiner Ecke des Marktes von den Massen geschoben und gepresst wurden. Immer mehr Menschen versammelten sich, dem schwarzen Jesus folgend, in unserer Ecke und erhöhten so gefährlich den Druck auf uns in den hinteren Reihen. Ich hatte für einen kurzen Moment wirklich Sorge dass unter dem Druck von tausenden schiebenden Menschen ein paar meiner Rippen brechen könnten, einen kleinen Menschen hätte es in dieser Situation auch leicht den Kopf zerdrücken können. Glücklicherweise war das schwächste Glied in der Kette aber nicht ein zierlich gebauter Mensch, sondern die Holzhütte hinter uns, die als erstes in die Knie ging und uns somit ein wenig Luft, und Raum zur Flucht verschaffte. Von dieser Erfahrung ein wenig verstört verbrachte ich die nächsten Stunden auf dem Balkon unserer Wohnung, während die begeisterte Menge langsam durch die Stadt zog. Irgendwann machte ich mich dann erneut mit meinem Soundrekorder auf den Weg, diesmal in die Kirche, die zu diesem Zeitpunkt recht leer war. Doch dann kam auch der schwarze Jesus von seinem Rundgang zurück, und die Kirche füllte sich schlagartig. Als Jesus durch die Türen getragen wurde, warfen einige der Menschen Konfetti, und alle Menschen brachen in begeisterten Jubel aus – oder weinten. Ich musste mir ein bisschen das Grinsen verkneifen und widmete meine gesamte Aufmerksamkeit dem Rekorder – bis direkt vor mir ein Tumult ausbrach. Ein paar Katholiken hatten eine zweite tragbare Plattform gebaut, die ein wenig kleiner war, und diese in die Kirche gebracht. Das war so vermutlich nicht eingeplant, zumindest wurden sie daraufhin von zwei Polizisten angesprochen. Das ganze artete ganz schnell in einen wütenden Streit aus. Keine Minute später umkreisten circa zwanzig Polizisten die Störenfriede und schoben sie unsanft aus der Kirche. Draußen wurden sie, samt ihrer inzwischen leicht beschädigten Trage, die Treppen hinuntergestoßen. Ich wollte sofort applaudieren, habe es dann aber bei einem zufriedenen Lächeln belassen, als ich bemerkte wie wütend die restlichen Versammlungsteilnehmer auf die Exekutive reagierten. Irgendwann habe ich es dann auch selbst geschafft, mich aus der Meute heraus zu kämpfen, und habe die Kirche verlassen. Während dem hölzernen Sohn Gottes noch ein Feuerwerk gezündet wurde, machte ich mich nachdenklich auf den Heimweg.

Seit Montag bin ich nun wieder in Panama City und zurück im Büro, schneide die 47 Kurzfilme und nun auch den Kurzfim über das Fest in Portobello. Ich habe über die Erlebnisse vom Wochenende viel nachgedacht, und auch wenn dieser Text einen leicht sarkastischen Unterton hat, so ist es doch eine Erfahrung die mich in gewisser Weise gebildet hat. Ich als Europäer bin sehr gut mit der Wissenschaft und den Erkenntnissen vertraut, von daher fällt es mir etwas schwer das Verhalten der begeisterten Katholiken nachzuvollziehen oder hier zu rechtfertigen. Ich denke aber, dass die Panamesen, gerade hier in den armen Gegenden, viel mehr auf einen Glauben angewiesen sind, der sie durch schwere Zeiten trägt. Meiner Meinung nach ist das der Grund warum so viele Menschen religiös sind, wir Menschen brauchen in schweren Zeiten oder Überforderung einen Halt, um glücklich zu sein. Und diesen Halt finden viele Menschen wohl im Glauben – die Person der man alles anvertrauen kann finden sie in Gott. Und gepaart mit der lebhaften Begeisterungsfähigkeit der Lateinamerikaner erhält man dann wahrscheinlich diese verrückte Auslegung katholischen Glaubens, die man dann einfach so hinnehmen muss. Die Menschen sollen tun was sie glücklich macht, und solange mich bei diesen Festen niemand tot trampelt, bin ich auch weiterhin gern als Beobachter dabei.

Wer also mal die Chance hat sich dieses Fest anzuschauen, sollte es auf jeden Fall tun – es ist hochinteressant und eindrucksvoll. Und auch zu allen anderen Zeiten ist die Stadt sehr schön und einen definitiv einen Besuch wert. Im Rahmen unserer Panamareise ab Dezember werden wir wahrscheinlich auch nochmal wiederkommen.

Bis dahin habe ich allerdings noch sehr viel für das Bio Museo zu erledigen, und auch danach werden sicher noch einige spannende Projekte mit Cine Animal folgen. Ich werde berichten!

Bis bald also,
Jonas

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2 Antworten

  1. Papa sagt:

    Wow, alles sehr interessant, wobei natürlich jeder die Ereignisse anders interpretierten würde.
    Besonderen Spaß hat mir der afrikanisch-stämmig Mann mit Handy gemacht (7. Bild von oben), der seine Brille verkehrt herum auf der Nase hat. Solche, sagen wir mal “unkonventionelle” Verwendungsarten von Gegenständen kenn ich auch schon direkt von Afrika: jeder zeigt, was er hat, aber er zeigt es auf eine “besondere Art”.
    Bleib weiterhin schön gesund!

  2. Erwin sagt:

    Ganz schön schräg, was da so abgeht… Gut das es da noch Holzwände gibt, oder?
    Und dann geht noch der Strommast in Flammen auf… Ist da die Feuerwehr ange-rückt oder haben die die Bude gezielt abbrennen lassen? Und : “harter polizeilicher Durchgriff gegenüber unrationalen Menschen…” schmunzel, schmunzel
    Da haste uns wieder sehr beeindruckende Bilder und Erlebnisse gezeigt.
    Vielen Dank und sei recht herzlich gegrüßt von unsen allensen

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