Ländliches Bangladesch

Liebe Leser,

Ich hätte gern schon früher wieder geschrieben, denn in den letzten Tagen haben wir sehr viel erlebt. Leider fehlte es mir an Zeit, da wir (wie geplant) sehr viel drehen, und andererseits viel Zeit mit den Menschen hier verbringen. Wie angekündigt sind wir seit circa einer Woche in Dhakua, einem kleinen Dorf im Norden von Bangladesch. Im Dorf wohnen Mandi, eine indigene Volksgruppe, über die wir auch unsere Doku drehen. Der Kontakt kam über Johannes, Anjas Vater, zustande, denn er unterstützt mit seiner Gemeinde seit Jahren die Entwicklung der Region. Den Rahmen bildet die katholische Kirche – auch die Mandi sind Katholiken, und damit eine Minderheit in diesem überwiegend muslimischen Land. Die katholischen Christen aus Deutschland unterstützen also die hiesigen. In den letzten Jahren wurden in Zusammenarbeit hier und in anderen Orten Kirchen und Schulen gebaut, aber auch allgemein die Entwicklung der Dörfer unterstützt. Auf diese Weise kam also der Kontakt zu den Mandi zustande – das Thema des Films ist aber nicht der katholische Glauben, sondern die Kultur der Mandi.

Wir sind vor circa einer Woche angekommen, und natürlich gab es ersteinmal eine Menge neuer Eindrücke. Hier im Dorf haben wir die großen, hektischen Städte hinter uns gelassen, und tauchen in das eher gemütliche Landleben ein. Die Straße zum Dorf führt durch weite Reisfelder, die im Moment alle bepflanzt werden. Zwischen den Feldern reihen sich unzählige kleine Dörfer aneinander, und entlang der Straße gibt es kleine Märkte, die die Menschen der umliegenden Dörfer bedienen. Dass Bangladesch trotz seiner kleinen Größe so viel mehr Einwohner als Deutschland hat, merkt man hier auch. Überall sieht man Menschen, auf den Straßen und Feldern herrscht geschäftiges Treiben. Bevor man Dhakua erreicht kommt man an einigen muslimischen Dörfern vorbei. Dhakua selbst liegt am Ende eines Feldweges, der von der Straße abzweigt. Das Dorf besteht aus kleinen Hütten, die jeweils um kleine Plätze gruppiert sind, und dazwischen kleine Fischteiche und Bambuswäldchen. Seperat liegt in einem Areal die Kirche, das Gästehaus (in dem auch wir jetzt wohnen), das Nonnenhaus für vier Schwestern sowie ein Boys- und ein Girlshostel, das Schüler und Schülerinnen aus entfernteren Dörfern beherbergt. Empfangen wurden wir von den Kindern und Lehrern, die ein Lied sangen und uns Blumen überreichten. Diese Art des Willkommenheißens erlebten wir in den nächsten Tagen noch öfter. Die Kinder waren anfangs noch schüchtern, obwohl wir nicht die ersten europäischen Gäste des Dorfes sind. Johannes war schon zweimal vorher hier. Trotzdem ist unser Besuch natürlich ungewöhnlich. Father Simon, der Priester der Ortschaft, setzte sich direkt mit uns an die Planung, denn ihm ist es sehr wichtig, dass wir gute Aufnahmen für unseren Film bekommen. Wir besprachen also die folgenden Tage, und Anja konnte viele ihrer Ideen an ihn vermitteln. Er wiederrum organisierte dann sehr zuverlässig die entsprechenden Drehorte und die Menschen, die wir filmten.

Father Simon

Der Dreh begann am nächsten Tag. Wir filmen jeden Tag etwas, zum Beispiel die traditionellen Tänze der Mandi, ihre Kochkünste, das Dorfleben, aber auch die Kinder und was diese in der Schule lernen. Der Dreh ist für mich sehr angenehm und verglichen zu unserem letzten Dokudreh in Ghana sehr problemlos. Denn egal wohin man geht; wir werden freundlich und mit Freude willkommen geheißen und alle Menschen lassen sich bereitwillig filmen und oft auch interviewen. Die Menthalität der Menschen ist mir sehr sympatisch. Sie sind in einem guten Maße zurückhaltend, aber gleichzeitig neugierig und motiviert, das Projekt zu unterstützen. An den verschiedenen Drehtagen gab es für meine Begriffe kaum Schwierigkeiten, und das schätze ich sehr. Ich bin wirklich begeistert von den Menschen hier. Auch mit den Schulkindern verstehen wir uns super. Sie sprechen zwar nur sehr wenig Englisch, trotzdem verbringen wir immer viel Zeit mit ihnen. Die Kinder sind auch sehr schlau und denken mit. Wenn wir ihnen zum Beispiel den Hinweis geben die Tür frei zu halten, dann machen sie das zuverlässig und weisen sich auch untereinander darauf hin. Und das ohne zu hinterfragen, denn dass wir die freie Tür für ausreichend Sonnenlicht brauchen, konnten wir ihnen nicht erklären. Wir haben in den letzten Tagen sehr viele schöne Bilder aufgenommen (und natürlich einen hervorragenden Ton – um hier auch mal meine Arbeit anzusprechen), sodass sich alle schon auf einen super Film freuen dürfen.

Für mich ist es sehr spannend, am Dorfleben teilzunehmen und alle Menschen kennen zu lernen. Wir werden sehr oft zum Essen eingeladen, und auch mit ausreichend Reiswein versorgt. Die Menschen winken uns zu und lächeln uns an wenn wir vorbeilaufen, und inzwischen trauen sich schon einige, ein bisschen mit uns Englisch zu sprechen. Father Simon hat uns außerdem auf kleinen Pfaden durch die Reisfelder geführt, und uns viele weitere Dörfer gezeigt. Überall wurden wir herzlich empfangen und mit Essen versorgt. Ich esse hier mindestens doppelt so viel wie in Deutschland, muss aber sagen, dass mir die hiesige Küche sehr zusagt. Auch mit der Rikscha waren wir unterwegs, auf eher unzulänglichen Straßen (bzw. Feldwegen). Einmal waren wir so nah an der Grenze, dass wir Indien schon sehen konnten. Father Simon erklärte uns auch, dass er bereits ohne Reisepass, nur mit dem “Jungle Passport”, nach Indien gegangen wäre. Mich hat man dann aber von dem illegalen Abstecher nach Indien abgehalten.

Wir waren die letzten Tage sehr produktiv, und dementsprechend kam ich anfangs gar nicht zum Fotografieren. Gestern habe ich mir abends jedoch ein paar Kinder geschnappt und bin mit ihnen durch das Dorf gezogen, um zu fotografieren. Auch die Kinder selbst knipsen gern mit meiner Kamera.
Auf den Fotos kann man die typischen Gesichtzüge der Mandi gut erkennen. Sie unterscheiden sich deutlich von denen der muslimischen Bevölkerung. Übrigens verstehen sich die Christen hier gut mit den Moslems; Father Simon ist, glaube ich, auch sehr bemüht eine gute Zusammenarbeit zu fördern. Er ist ein Mensch der sehr viele Kontakte pflegt, und den jeder kennt. Die christliche Minderheit wird deshalb von ihren Nachbarn weitestgehend respektiert und auch geachtet.

Ich hatte – wie schon in Dhaka – den Eindruck, dass die Menschen hier auf dem Land sehr intelligent sind, und hart für den Fortschritt arbeiten. Das dörfliche Hinterland von Bangladesch wirkt für mich schon recht entwickelt. Obwohl die Menschen wenig besitzen, nutzen sie alle Möglichkeiten, die sie haben, um voranzukommen. Die Felder sind bepflanzt, die Häuser sind einfach aber ordentlich. Johannes sagt auch, dass er im Vergleich zu seinen ersten Reisen vor einigen Jahren viele Veränderungen wahrnimmt. Die Menschen die ich bis jetzt treffen durfte, kommen mir unbeschwert, zuversichtlich und motiviert vor. Als Reisender fühle ich mich deshalb sehr wohl.

Morgen fahren wir für zwei Tage in das Heimatdorf von Father Simon, zu einem Familientreffen, das wir natürlich gern filmen möchten. Und bereits am Sonntag verlassen wir Dhakua wieder. Dann geht es mit dem Nachtzug in das südliche Chittagong, wo wir uns auf die Suche nach ausgezogenen Mandi machen. Viele von ihnen haben die Dörfer verlassen, um in der Stadt zu leben. Am Dienstag fahren wir schon zurück nach Dhaka, und bereits am Donnerstag fliegen wir wieder in die Heimat. Von der letzten Etappe berichte ich vermutlich erst von Deutschland aus, denn die nächsten Tage werden sehr voll. Aber mit Sicherheit auch sehr spannend, ich freue mich schon besonders auf Chittagong. Ich bin aber auch traurig aus Dhakua abzureisen, denn hier habe ich mich sehr wohlgefühlt.
Aber so ist das: wenn man unterwegs Menschen kennen lernt, muss man sich auch irgendwann von ihnen verabschieden. Es ist jedoch schön zu wissen, dass wir hier jederzeit wieder willkommen sind.

Und damit verabschiede ich mich vorerst auch von euch. Bis bald,
Jonas

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6 Antworten

  1. Simone sagt:

    Klasse, dein Bericht. Vielen Dank. Ich freue mich auf mehr. Und es klingt, als seid ihr alle gesund . Viele liebe Grüsse an Anja

  2. Heiko Rudek sagt:

    Beeindruckender Bericht mit tollen Fotos! So sehr ich Euch jeden einzelnen Tag gönne… so freu ich mich aber auch darauf bis Ihr wieder in Deutschland seid und es endlich Teil 3 der Reise gibt 😉 Habt bis dahin ne gute Zeit! Viele liebe Grüße an alle! Heiko

  3. Birgit Haas sagt:

    Wow! Jonas, toll wie du das in Worte kleiden kannst und die schönen Bilder… bin sprachlos! Danke dafür!!! Liebe Grüsse an alle! Birgit

  4. Papa sagt:

    Schön, was aus Bangladesch zu lesen – noch dazu so positives. Das Land hat man ja sonst nicht so auf dem Schirm. Schön auch, dich viel entspannter lächeln zu sehen, als auf den Afrika-Bildern. Und dein neues Objektiv scheint ja – neben dem fotografischem Auge – echt was zu bringen. Sehr schöne Portraits in guter Schärfe, optimal belichtet usw.!
    Neidisch bin ich aber besonders auch, weil ihr wieder mal dem “Winter” hier entgangen seid! Sturm, Schneeschauer und das ganze Zeug, was man eigentlich nicht haben will – und ihr sitzt & werkelt schön im Warmen…
    Beste Grüße also in die Ferne!

  5. Papa sagt:

    Noch eine Frage: die Kinder haben fast alle eine kleine Narbe auf der Wange, meist rechts. Ist das Zufall oder kommt das von einem Aufnahmeritus? Ich kenne das von afrikanischen Kindern, aber Bangladesch ist ja nicht Afrika. Obwohl – einige Bewohner (mehr in Dhaka) haben offensichtlich auch afrikanische Wurzeln.

    • Jonas sagt:

      Ja, in Ghana haben wir auch oft Menschen gesehen, die auf jeder Wange eine Narbe trugen. Damit erkennen sie sich gegenseitig als Zugehörige des Stammes. Aber hier in Bangladesch gibt es sowas nicht. Ich habe nachgefragt, und wenn die Kinder Narben haben, dann nur zufällig 🙂

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