Als Kamerateam in Jamestown
Liebe Leser,
Hallo aus Ghana! Ich habe erst ein bisschen überlegt, ob ich über diese Reise überhaupt auf meinem Blog berichte, denn unser Augenmerk hier liegt nicht auf dem Reisen, sondern auf unserem Filmdreh. Die Drehzeit war für mich in vielerlei Hinsicht sehr herausfordernd. Gerade am Anfang war ich oft überfordert und dachte mir, dass ich mich in diesem Land nicht so heimisch fühle. Nun ist unser Dreh allerdings beendet, und im Laufe der Zeit konnte ich mich besser einleben und einige Dinge verstehen – und über die Erlebnisse und Eindrücke will ich nun doch berichten. Das ist dann kein wirklicher Reiseartikel, aber sicher nicht weniger spannend.
Wir ihr sicher wisst sind wir hier, um unseren Dokumentar-Kurzfilm “Born and raised in Accra” zu drehen. Dafür haben wir ja vorher fleissig Werbung gemacht im Internet und auf Instagram, und seit Ende Oktober sind wir nun tatsächlich vor Ort. Wir leben im Stadtviertel Jamestown, dem eigentlichen Zentrum, aber gleichzeitig einem der ärmsten Viertel der Stadt. Die Menschen hier führen kein leichtes Leben. Die Familien sind sehr groß, aber nur sehr wenige Menschen sind gebildet. Die Mehrheit muss sich mit schlecht bezahlten Tätigkeiten über Wasser halten. Die Männer arbeiten oft als Fischer, die Frauen oft als Händlerinnen. Viele Familien haben nur sehr kleine Hütten, sodass viele Menschen nachts auf der Straße schlafen müssen. Sie passen nicht in ihre eigenen Hütten. Das Leben spielt sich allgemein größtenteils auf den Straßen ab. Zu jeder Tages- und Nachtzeit sind die Leute unterwegs.
Dazwischen wachsen viele Kinder auf, und wegen der armen Verhältnisse müssen sie oft schon in jungen Jahren arbeiten um die Familie zu unterstützen. Sie helfen den Fischern, waschen Wäsche oder verkaufen Früchte in den Straßen. Für Schulbildung fehlt oft das Geld. Hier in Jamestown wurde die “Universal Wonderful Street Academy” gegründet, eine Schule, die für ihre Schüler komplett kostenlos ist. Die Kinder werden hier in drei verschiedenen Räumen, in sieben Klassen unterrichtet. Sie bekommen kostenlos Frühstück und Mittagessen und bei Bedarf auch medizinische Unterstützung.
Unser Film soll die Schule aber besonders auch das Leben der Kinder vorstellen.
In der Nacht unserer Ankunft wurden wir am Flughafen abgeholt, und vom Schulleiter Louis zur Schule gefahren – unserem Zuhause für die nächsten Wochen. Auf dem Weg wurden wir zweimal von der Polizei kontrolliert und mussten in einer Straße eine brennende Barikade umfahren. Dann waren wir da, und richteten uns auf dem Dachboden der Schule ein. Die nächste Woche verbrachten wir damit uns zu orientieren. Wir schauten uns den Unterricht an, stellten uns den Kindern vor und gaben eine eigene Unterrichtsstunde zum Thema Film. Hier lernten die Kinder auch das Wort “Microphone” und ich werde seitdem immer gefragt “Sir, where´s your microphone?”. Außerdem haben wir erste Ausflüge im Viertel unternommen, haben uns Jamestown angesehen und den Strand, an dem sich die Fischer illegal ein kleines Dorf aufgebaut haben – bestehend aus kleinen Holzverschlägen überwiegend ohne Strom und Wasser. In der ersten Woche waren wir alle sehr erschöpft. Die Hitze hat uns geschwächt, und der Lärm in der Stadt noch mehr. Unter der Schule ist eine Kirche, die wir immer als “Partykirche” bezeichnen. Denn nicht selten wird hier mit lautem Techno die Nacht durchgemacht, dazu singt der Pfarrer in einer völlig übersteuerten Anlage – für die fünf Besucher die auf Plastikstühlen in der Kirche sitzen. Zusätzlich meldet sich regelmäßig der Muezin zu Wort, der das ganze Viertel ans Beten errinnert. Dazu kommen Musik, Fernsehen und laute Stimmen von den Straßen, und oft trommelt irgendwer irgendwo. Wir sind alle in der ersten Woche krank geworden, auch der Hals tat allen weh, denn die Luft ist manchmal voller Rauch.
Wir realisierten dass es weit schwieriger wird als gedacht, hier zu drehen. Als “Weiße” sind wir in diesem Viertel ohnehin eine Ausnahme, und wenn wir mit den Kameras unterwegs sind waren die Leute oft wütend auf uns. Viele sehen uns als die Reichen, die hierher kommen, und durch einen Film über die Armut noch viel mehr Geld verdienen. Für die nächsten Wochen wussten wir, dass wir nicht so oft ins Viertel gehen konnten, denn um irgendwie drehen zu können musste der Schulleiter persönlich mitkommen. Er ist “Development Chief” in diesem Viertel, und er kann den Menschen erklären, dass unser Filmprojekt besonders den Kindern zu Gute kommt. Doch selbst in Begleitung von Louis und seinen Jungs hatten wir es nicht leicht. Wir mussten oft sehr schnell sein, und den Schauplatz des Geschehens nach kurzer Zeit verlassen. “Point and shoot”, und dann nichts wie weg bevor wir zu viel Aufmerksamkeit erregen. Einmal haben ein paar Leute trotzdem einen Überfall auf uns besprochen, in ihrer eigenen Sprache “Gah”. Louis hat das mitbekommen und war sofort in einen großen Streit mit ihnen verwickelt. Die Menschen im Viertel haben aber großen Respekt vor ihm, denn als Chief wurde er von der Königsfamilie ausgewählt und ist quasi nun selbst ein König.
In unserer dreiwöchigen Drehzeit haben wir verschiedene Aufnahmen von Jamestown und dem Fishermen Village bekommen, und haben auch zwei der Kinder in ihrem Alltag filmen können.
Jacob, 11 Jahre alt, lebt mit seinem Vater im Fischermen Village. Der Vater ist selbst Fischer, und hat uns im Interview gesagt, dass er seinem Sohn ein besseres Leben wünscht. Deswegen schickt er ihn in die Academy. Jacob schläft immer bei verschiedenen Leuten, denn die Hütte des Vaters ist in einem anderen Stadtteil. Da er aber als Fischer das Meer braucht, leben die beiden die meiste Zeit hier im Fishermen Village.
Unser zweites Film-Kind ist Hubeida, 12 Jahre alt. Sie ist mit ihrer Mutter und ihren Schwester aus dem Niger geflohen, denn dort konnte die Familie nicht mehr überleben. Nun leben sie in Accra, und Hubeida kann hier zur Schule gehen. Nach der Schule muss sie allerdings bis in die Nacht auf den Straßen Früchte verkaufen. Sie möchte Krankenschwester werden. Ihre Mutter sagt, dass sie Hubeida zur Schule schickt, damit diese sie im Alter mit Geld unterstützen kann.
Wir haben die Kinder bei ihrer Arbeit und zuhause gefilmt, auch hier wieder unter großem Zeitdruck, denn beide wohnen mitten im Viertel und wir sind natürlich stark aufgefallen.
In Ruhe drehen konnten wir in der Schule. Hier haben wir viel Material vom Unterricht und den Aktivitäten der Kinder.
Auch mit der Drohne bin ich mehrere Male über das Viertel geflogen und habe unauffällig schöne Aufnahmen machen können. Bei einem der Flüge wurde meine Drohne jedoch in der Luft von einem Adler angegriffen, und seitdem hatte ich auch beim Drohnefliegen meine Sorgen.
Bei all den Schwierigkeiten kam uns die lange Drehzeit zu Gute, denn wir sind ziemlich exakt nach vier Wochen fertig geworden. Wir haben nun genug Material um eine kurze, aber spannende Doku schneiden zu können und das erleichtert mich sehr.
Am Anfang konnte ich den Dreh gar nicht abschätzen und planen, und so war ich sehr gestresst. Je länger wir allerdings arbeiteten, und sichtbare Fortschritte machten, desto besser ging es mir. Zum Schluss der Drehzeit bin ich zwar immernoch sehr erschöpft, aber eigentlich recht zufrieden. Besonders die Kinder haben mich immer wieder aufgeheitert. Mit ihnen habe ich viel Zeit verbracht, habe im Unterricht gesessen und auch selbst Gramatik unterrichtet. Ich habe mit ihnen Fussball gespielt und ihre Gesichter beim Kinderschminken bekritzelt. Im Gegenzug erhält man bedingungslose Liebe. Die Kinder freuen sich riesig wenn man mit ihnen Zeit verbringt und stecken mit ihrer Freude an. Auch wenn wir im Viertel unterwegs waren riefen sie oft von Weitem “Sir Jonas, Sir Maas, Sir Eewin!!” und erzählten uns am nächsten Tag stolz, dass sie uns gesehen haben. Die Kinder haben es sehr schwer, haben aber ihre Freude nicht verloren. Alle waren sehr erfreut, wenn wir sie filmten oder fotografierten. Besonders hier in der Schule haben wir sehr schöne Fotos von den Kindern machen können.
Wir haben in dieser Zeit sehr viele Eindrücke sammeln können, und das Leben im Viertel hautnah gespürt. “Furchtlos ins Armenviertel”, wie die Badische Zeitung über uns schrieb. Wir waren auf jeden Fall mitten im Armenviertel, allerdings nicht immer furchtlos. Denn in den Straßen vor der Schule gab es auch Kämpfe, die Leute des Viertels haben sich mit anderen Leuten angelegt. Die Straßenkämpfe waren wohl (lokal)politisch bedingt. Die Menschen haben sich mit Glasflaschen und Stöcken bekämft, es wurde auch oft geschossen. Louis musste sich als Chief sehr oft um solche Probleme kümmern, er hat viele Nächte nicht geschlafen.
Das Leben in Jamestown ist sehr vielseitig und herausfordernt und war für uns als Europäer wirklich eine Umstellung. Deshalb sind wir auch ein wenig froh, am Montag in den Mole-Nationalpark weiter zu ziehen. Wir werden die Schule vorerst verlassen und uns auf den Weg ins Landesinnere machen. Wir wollen und den Mole-Nationalpark und anschließend die Küste inklusive Cape Coast ansehen. Zum Schluss werden wir nochmal in die UWSA zurückkehren, und dann am ersten Advent wieder nach Deutschland fliegen. Ich freue mich schon sehr auf meine Wohnung in einer sicheren Stadt, fließendes Wasser, ein weiches Bett und saubere Bettwäsche, einen vollen Kühlschrank und gut bestückte Läden. Ich nehme aber auch sehr viel mit aus unserer Zeit in Accra. Denkanstöße und Erkenntnisse, schöne Errinnerungen an die fröhlichen Kinder, aber auch einige wichtige Erfahrungen was das Produzieren von Dokumentarfilmen angeht. Ich verlasse diesen Ort also mit gemischten Gefühlen.
Die nun kommende Reise wird sicher auch sehr spannend, auf andere Weise. Ich werde demnächst davon berichten, also bleibt gespannt!
Liebe Grüße,
Jonas
Alle Fotos sind von Max Finckh und Erwin Gepting, den Kameramännern von BARIA-Film.
Hey Jonas, schön von dir zu hören. Das klingt ja wieder sehr spannend und interessant. Gut, das ihr noch etwas Zeit habt euch im Land umzuschauen.
Habt wieder tolle Porträts geschossen.
Ich wünsch euch noch eine schöne Zeit, bis bald Erwin.